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Männer erzählen Ja, "toxische Männlichkeit" haben wir schon mal gehört

Männer erzählen: Mann
© SmartPhotoLab / Shutterstock
Haben Männer "toxische Männlichkeit" schon mal gehört? Wir haben nachgefragt!
SinaTeigelkötter und Alexandra Zykunov

Ihr habt es in Zeiten von "alten weißen Männern", #MeToo-Folgedebatten und den neuen feministischen Ansprüchen nicht gerade leicht. Was erwartet die Welt heute von euch? Seid ihr genervt vom ganzen Rollen-Gedöns? Oder sind die Forderungen noch viel zu zaghaft? Und: Wie fühlt ihr euch überhaupt?

Noch nie war das Männerbild so vielschichtig wie heute. Für alle gibt es eine Nische, für jeden seine Blase. Konservative Spielplatzpapas, feministische Tinderkönige, Haushaltsprofis bei Tag, Hinterherpfeifer bei Nacht, "neue" Väter neben "alten", alte weiße Männer neben jungen, hetero, homo, trans. Wann ist ein Mann ein Mann? Ist die Suche nach einer vermeintlichen Männlichkeit im Jahr 2020 nicht längst überholt? Jein. Denn: Selbst wenn wir uns wünschen, dass es nur noch "Menschen" und keine Geschlechter gibt, ist unsere Gegenwart immer noch gefüllt mit aggressiven sogenannten "toxischen" Männlichkeiten, zweifelhaften Rollenbildern und unfair verteilter Macht. Ja, nach "dem" Männerbild zu suchen, ist wohl genauso idiotisch wie die Suche nach "der" Frau. Es hilft aber, unterschiedliche Männer nach ihrem persönlichen Männerbild zu fragen. Haben wir gemacht – und so einiges erfahren.

In diesem Teil unser achtteiligen Serie geht’s um die Frage: 

"Toxische Männlichkeit" – schon mal gehört?"

Waldemar Zeiler

38, Sozialunternehmer und Mitgründer der Kondom- und Menstruationsprodukt-Marke "einhorn". Gerade ist sein Buch "Unfuck The Economy" erschienen (Goldmann)

Gehört, erlebt und sicher auch schon praktiziert, z. B. als junger Gründer in früheren Start-ups, mit der Erwartung, dass Mitarbeiter*innen genau wie ich bis spät in den Abend arbeiten. Ich hoffe, dass ich in den letzten Jahren besser darin geworden bin, sie bei mir selbst schneller zu erkennen und gegenzusteuern. Unsere Arbeitswelt ist geprägt davon, und ich kann mir vorstellen, dass viele Männer, besonders aus der Generation Boomer (Mitte der 60er-Jahre), sich noch nicht intensiv damit beschäftigt haben. Schließlich wird damit das eigene Weltbild komplett infrage gestellt, diese Männer müssten sich selbst dann fragen, ob ihr beruflicher Erfolg wirklich nur auf ihren eigenen Fähigkeiten beruht.

Nils Pickert

40, Feminist, Journalist und Vater (vaterfreuden.de) treibt die Frage um, wie sich Geschlechterstereotype aufbrechen lassen ("Prinzessinnenjungs: Wie wir unsere Söhne aus der Geschlechterrolle befreien", Beltz)

Toxische Männlichkeit ist das Gift, durch das Männer glauben, einen Anspruch auf Gehorsam und Sex zu haben, auf Macht und Öffentlichkeitswirksamkeit, auf Unverletzlichkeit und Bewunderung. Es ist das Kryptonit, das Männer schwächt, indem es ihnen Lügenmärchen von ewiger Stärke und Dominanz einflüstert. Die Einlasskontrolle, die Männer nur passieren lässt, wenn sie sich wie aufgeblasene, selbstzerstörerische Arschlöcher aufführen. Ich bin es leid, Männer an diesen Schwachsinn zu verlieren und Frauen darunter leiden zu sehen. Männer sind so viel besser als das.

Christoph Kucklick

56, Soziologe und Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule, promovierte zum Geschlechterdiskurs um 1800 ("Das unmoralische Geschlecht. Zur Genese der Negativen Andrologie", edition suhrkamp)

Ich denke, 120 Prozent aller Männer haben von toxischer Männlichkeit gehört – was soll die Unterstellung, wir hätten unter unserem Stein nichts davon mitbekommen? Auch toxische Männlichkeit ist nur die Wiederholung des alten Klischees vom unmoralischen Mann. Woher stammt diese Idee? Vor 200 Jahren begann sich eine neue, die moderne Gesellschaft abzuzeichnen. Sie wurde überwiegend kritisch beäugt: zu viele Freiheiten, zu viel Unmoral, zu egoistisch. Diese negativen Attribute wurden auf Männlichkeit übertragen – und im Gegenzug wurde Weiblichkeit umgedeutet als stets bedrohter Hort der Moral und einer besseren, heilen Welt. Dieses Schema – moderne, aber böse Männlichkeit, gute, aber bedrohte Weiblichkeit – inszenieren wir seither in immer neuen Variationen. Aber: Männer als toxisch zu beschreiben und von ihnen Besserung zu verlangen, hilft nicht, um die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu überwinden – weil die Ungleichheit genau auf dieser Kritik an Männlichkeit beruht!

Tarik Tesfu

35, Comedian ("Tariks Trallafitti Show"), macht sich gegen Sexismus, Rassismus, Homofeindlichkeit "und all den anderen Schweinkram" stark und co-moderiert das NDR-Online-Format "deep und deutlich"

Wer den ganzen Tag mit Mansplaining, Dosenbier und Holzhacken beschäftigt ist, hat wenig Zeit zum Googeln.

Jochen König

39, bloggt und gibt ganz konkret "MännerNachhilfe" in Workshops zum Thema "detoxmasculinity" ("Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern und anderen Familien", Herder)

Wenn weinen, dann nur beim Fußball, ein Mann sein, immer Lust auf Sex haben – es reicht nicht, toxische Männlichkeitsbilder zu erkennen. Ich muss auch anerkennen, dass ich selbst Vorstellungen verinnerlicht habe, die mir und anderen schaden und die ich nicht (mehr) erfüllen kann und möchte. Das ist manchmal schmerzhaft, führt zu Unsicherheit, zu Konflikten und zu Anfeindungen durch andere Männer, aber ich würde mir wünschen, dass mehr und mehr Männer Mut finden, diese Bilder (auch öffentlich) zu hinterfragen.

Till Raether

51, Schriftsteller, hat als BRIGITTE-Autor über fast alle Facetten seines Mann- und Vaterseins geschrieben ("Ich werd’ dann mal ... Nachrichten aus der Mitte des Lebens", Rowohlt)

Der Großteil unserer Kultur und Unterhaltung feiert dieses Verhalten, vom klassischen Western über "Breaking Bad" bis zu Donald Trump. Und darunter leiden alle. Manches toxische Verhalten, das ich an mir feststelle, ist unfreiwillig komisch, aber eben doch typisch und destruktiv: Ich erkläre meiner Frau Corona, obwohl sie Medizinjournalistin ist. Wenn ich mit meiner Kollegin Alena Schröder einen Podcast aufnehme, rede ich doppelt so viel und doppelt so laut wie sie.

Anderes erschreckt mich inzwischen: wie ich es nicht ertragen kann, wenn mich jemand überholt, obwohl ich doch schon 160 fahre, oder meine Kinder anschreien will, sie sollen sich zusammenreißen. Ich sehe diese toxischen Züge an mir als eine Art Escape Room, also als eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Ich bin aber lange noch nicht draußen.

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BRIGITTE 23/2020

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